Die unsichtbare Kraft, die dich laufen lässt
Von Alan Fuster, Trainer für Trailrunning und Ausdauersport
Hallo, ich bin Alan. Ich arbeite jede Woche mit Läuferinnen und Läufern auf allen Leistungsniveaus vom Einsteiger bis hin zu Athleten, die sich auf anspruchsvolle Ultratrails vorbereiten. Und ein Muster begegnet mir dabei immer wieder: Den meisten fehlt es an wirklich funktioneller Kraft. Und ich spreche nicht vom Hanteltraining oder klassischen Kniebeugen. Ich meine die Kraft, die deinen Körper beim Laufen stabilisiert die deine Gelenke schützt, Stöße abfängt und dich vor Verletzungen bewahrt. Diese Kraft sieht man nicht auf Instagram, aber sie entscheidet darüber, ob du langfristig laufen kannst oder nicht.
Wir glauben oft, dass mehr Laufen uns stärker macht. Aber in Wahrheit ist es umgekehrt: Wir brauchen Kraft, um überhaupt richtig laufen zu können. Ohne eine stabile Basis kann der Körper die Belastungen des Laufens insbesondere im Trail nicht auf Dauer aushalten.
Es geht nicht darum, mehr Kraft zu trainieren, sondern richtig
Krafttraining ist keine Sammlung von Übungen, sondern ein strukturiertes System. Und der erste Schritt ist das Verständnis dafür, dass unser Körper ständig kompensiert. Er nutzt, was stark ist, und ignoriert, was schwach ist.
Wenn du alles gleich trainierst, verstärkst du oft nur bestehende Ungleichgewichte. Deshalb ist der entscheidende Punkt: herausfinden, welche Muskeln aktiviert und gestärkt werden müssen und dann gezielt daran arbeiten.
So gehe ich bei meinen Athleten vor:
Schwachstellen erkennen
Jeder Körper hat individuelle Defizite. Bei manchen sind die Gesäßmuskeln inaktiv, andere nutzen ihren Rumpf nicht richtig oder haben keine funktionelle Fußmuskulatur.
Eine saubere Laufanalyse, ein Blick auf die Verletzungshistorie und gezielte Aktivierungstests sind der Ausgangspunkt.
Ab hier beginnt echte Individualisierung.
Isometrisch aktivieren bei geringer Intensität
Ein Muskel ist nicht deshalb “schwach”, weil ihm Kraft fehlt, sondern weil er neurologisch nicht richtig angesteuert wird.
Deshalb starten wir mit niedrigintensiven isometrischen Übungen, in spezifischen Positionen, die das Bewegungsmuster beim Laufen abbilden. Ziel ist die bewusste, gezielte Aktivierung – nicht Ermüdung.
Diese Phase kann sich über Wochen ziehen, ist aber entscheidend.
Kontrollierte, langsame Konzentrik
Sobald der Muskel wieder „anspringt“, beginnen wir mit Bewegung. Aber vorsichtig.
Langsame, konzentrische Bewegungen mit geringer Last, bei denen die Ausführung im Vordergrund steht. Hier entwickeln wir die Fähigkeit, gezielt Kraft zu erzeugen – mit maximaler Kontrolle und ohne Ausweichmuster.
Krafttraining mit hoher Intensität und aktiver exzentrischer Phase
Nur wenn der Muskel gut aktiviert und stabil in der Bewegung ist, gehen wir weiter:
Langsame, konzentrische Bewegungen mit hoher Intensität plus aktive, kontrollierte Exzentrik genau die Kraft, die wir beim Laufen (besonders bergab) brauchen.
Dieser Ansatz wird auch als Shortening Training bezeichnet und ist extrem wirksam, wenn es um funktionelle und laufrelevante Kraft geht.
Warum dieser Aufbau?
Weil falsch trainierte Kraft nicht schützt, sondern zusätzlich belastet.
Und weil du ohne diesen Aufbau nur die Muskeln trainierst, die ohnehin dominant sind und die eigentliche Schwäche bleibt bestehen.
Ich habe viele Läufer gesehen, die fleißig Kraftübungen gemacht haben aber ohne echte Wirkung auf ihre Laufleistung oder Verletzungsanfälligkeit. Der Grund? Kein Plan, keine Progression, keine Individualisierung.
Was ich als Trainer wirklich will
Ich will nicht, dass du mehr trainierst ich will, dass du das Richtige trainierst.
Mein Ziel ist es, dir die Struktur zu geben, mit der du langfristig laufen kannst. Denn wenn es im Ausdauersport ein Wort gibt, das über Erfolg entscheidet, dann ist es: Kontinuität.
Nicht die Anzahl der Wochenkilometer zählt, sondern die Anzahl der Wochen, die du verletzungsfrei durchziehst.
Zusammengefasst
1. Schwache Muskeln identifizieren
2. Isometrisch aktivieren, mit geringer Intensität
3. Kontrollierte Konzentrik mit niedriger Last
4. Krafttraining mit hoher Last und langsamer Ausführung, inklusive Exzentrik
Erst wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, macht es Sinn, die Kraft in dein Lauftraining zu integrieren etwa durch Hügelläufe, Technikreize oder Temposchlüsse. Aber nicht vorher.
Kraft ist nicht optional. Sie ist die Basis.